Kapitel 01
Kapitel 02
Kapitel 03
Kapitel 04
Kapitel 05
Kapitel 06
Kapitel 07
Kapitel 08
Kapitel 09
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Transkript
Mein Name ist Teshome Toaspern, ich habe den Nachnamen meiner Frau angenommen. Ich lebe seit 32 Jahren in Ludwigslust und bin Vater von zwei Kindern, verheiratet, 56 Jahre alt. Nach Deutschland bin ich 1989 gekommen. Ich hatte zu Hause in Äthiopien die Schule mit dem Abitur abgeschlossen und mich für ein Auslandsstudium beworben und so bin ich in die damalige DDR gekommen. Ich kam mitten in die Wendezeit. Zuerst war ich in der Sprachschule. Wir ausländischen Student:innen hatten keine Ahnung, wie es mit uns weitergeht. Da kam eine Gesellschaft aus Westdeutschland und hat mit uns Möglichkeiten besprochen. Sie gaben uns unter anderem die Option eine Ausbildung zu machen und hier zu bleiben. Das habe ich dann gemacht.
Meine Heimat war 1989 ein sozialistisches Land, ähnlich wie die DDR. Die DDR und Äthiopien waren sozialistische Bruderländer und die DDR hielt Studienplätze für befreundete afrikanische Staaten vor. Ich habe mich sehr gefreut in die DDR kommen zu können, denn in Äthiopien waren damals die Bildungschancen schlecht und es gab wenig Universitäten.
Ich habe meine liebe Frau kennengelernt und bin hier geblieben. Wir haben zwei gemeinsame Kinder, für die wir sehr dankbar sind. Unsere Kinder sind erwachsen, leben und arbeiten in Berlin. Heute bin ich sehr froh, dass ich damals entschieden habe hier zu bleiben.
Wir haben überlegt, was ein passender Name für unseren Verein sein könnte. Nirro heißt er. Das ist ein amharisches Wort. Amharisch ist eine äthiopische Sprache und Nirro heißt auf Deutsch übersetzt Leben. Unser Verein heißt also "Nirro gleich Leben – Hilfe in Äthiopien". Durch diesen Verein bin ich ein Mal im Jahr vor Ort. Wir haben dort auch eine Schule gebaut und gegründet, weil ich selbst als Kind von der ersten bis zur zwölften Klasse einen 15 Kilometer langen Schulweg hatte. Das wollten wir den Kindern von heute ersparen. So dass sie zumindest die ersten Jahre nicht so weit zu gehen brauchen. Diese Grundschule war das erste Projekt unseres Vereins und sie war überhaupt erst mal der Grund weshalb wir den Verein damals gegründet haben.
Wir wollten nicht so viele Mitglieder haben, obwohl wiederum viele mit uns arbeiten wollten. Aber wir haben gedacht, je mehr Mitglieder wir haben desto komplizierter wird es. Deswegen haben meine Frau und ich beschlossen bei der gesetzlichen Mindestzahl für Vereine zu bleiben. Wir sind also nur zu siebt, aber es sind sehr viele, die uns unterstützen, obwohl sie keine Mitglieder sind. Oft sind sie von sich aus bereit mehr Geld zu spenden, wenn wir es benötigen.
Jeder Cent, alles auf Spendenbasis. Es sind viele Freunde und Angehörige meiner Frau dabei. Die meisten von ihnen haben Dauerspenden eingerichtet. So sind wir ein Verein von Freund:innen und Verwandten von nah und fern.
Von Beginn an waren viele Ludwigsluster:innen bereit unseren Verein zu unterstützen. Meine Frau und ich entschieden uns den Schwerpunkt auf Bildungsprojekte für Kinder zu legen. Das ist eine Idee, die viel Unterstützung findet, weil jede:r weiß, dass Bildung ein Weg ist, um der Armut zu entkommen. Ein weiterer Punkt, der für unsere Unterstützer:innen wichtig ist: Sie wissen, was mit ihrem Geld geschieht und vertrauen mir. Sie können mich jederzeit fragen. Es sind auch schon einige Bekannte aus Ludwigslust mit mir nach Äthiopien gereist, um unsere Projektarbeit vor Ort zu sehen. Dadurch haben sie nun über die Projekte hinaus auch eine Verbindung zu den Menschen bekommen.
Wir sind ein ehrenamtlich arbeitender Verein und wenn ich noch mehr Projekte machen möchte, benötige ich Personal vor Ort. Das ist schwierig. Deswegen haben wir unsere Arbeit auf einen Ort begrenzt, aber in unterschiedliche Bereiche aufgefächert. Das bedeutet, wir arbeiten mit Kleinkindern, mit Schulkindern – da geht es oft um Schulmaterialien und Schuluniformen, die sich ihre Eltern nicht leisten können. Wir unterstützen aber auch Jugendliche, die Abitur machen wollen oder bereits abgeschlossen haben und nun gerne studieren möchten – insbesondere junge Frauen. Vor Ort haben wir eine sehr vertrauensvolle Mitarbeiterin, eine ehemalige Schulkollegin von mir. Sie kommt auch aus unserem Dorf und war Lehrerin. Sie ist unsere Kontaktperson vor Ort und auch sie arbeitet ehrenamtlich. Sie hat sich schon vor unserer Vereinsgründung vor Ort ehrenamtlich engagiert. Wir unterstützen sie ein bisschen finanziell, weil sie in unserem Auftrag viel herumreist. Aber grundsätzlich arbeitet sie ebenso ehrenamtlich wie ich.
Bis jetzt sind wir nicht auf die Idee gekommen dort einen Verein zu gründen, weil die Bürokratie in Äthiopien so kompliziert ist. Die Behörden wollen das Geld und dann selber entscheiden wie und an wen sie es verteilen. Das möchte ich wiederum nicht. Denn wenn ich ihnen einfach das Geld gebe, kommt es nicht dorthin, wo ich es haben möchte.
Zum Glück war ich mal in der äthiopischen Botschaft in Berlin und habe zwei Stunden dem Botschafter meine Ideen für Projekte unterbreitet. Er hat mir damals einen Begleitbrief mitgegeben und mir sogar eine Telefonnummer des Innenministeriums notiert, damit ich dort notfalls um Unterstützung bitten kann. Als es dann beim äthiopischen Beamten vor Ort Probleme gab, habe ich den Brief gezeigt. Ein Deutscher hätte alles liegen und stehen gelassen und wäre zurückgekommen. Ich hingegen wusste, was auf mich zukommt.
Es gibt auch gemeinnützige Vereine, wie beispielsweise Menschen für Menschen, damals von Karl-Heinz Böhm gegründet, die eine große Arbeit im Land geleistet haben. Sie haben viele Schulen gebaut. Infrastruktur, verschiedene Sachen, die bis heute sichtbar sind. Inwiefern Deutschland als Staat Entwicklungszusammenarbeit geleistet hat, kann ich nicht beurteilen, aber ich sehe nicht viel davon, wenn ich dort bin. Meine Meinung ist, dass die Hilfe von Deutschland, respektive Europa auch als Druckmittel gegen afrikanische Länder verwendet wird. „Entweder macht ihr, was wir sagen oder wir geben euch kein Geld“. Das ist für mich versteckter Kolonialismus, das ist meine Meinung. Diese Länder sind nicht frei. Es gibt Korruption, das leugne ich nicht. Aber unabhängig davon übt der globale Norden in diesem Bereich viel Druck auf die Länder des globalen Südens aus. Das stört mich und das ist für mich ein großes Problem.
Für viele in Äthiopien ist es so: Ich lebe in einem der reichsten Länder der Erde, also kann ich mir alles leisten. Ich kann so viel ausgeben! Sie haben unrealistische Vorstellungen. Aber ich kann diese Menschen auch verstehen, sie leben anders als wir hier in Deutschland. Aber sie sehen nicht, dass ich hier in Deutschland auch meine Probleme habe. Ich habe nicht so viel Geld, dass ich alles besorgen kann. Dass ich ein Auto habe, bedeutet für sie automatisch: ich bin reich. Ein Autobesitzer muss ein reicher Mann sein. Anders können sie es sich nicht vorstellen, selbst wenn ich ihnen sage, dass man in Deutschland viel arbeiten muss. Manche verstehen das, andere nicht.
Wir machen unsere Arbeit weiter, wir sind auch erfüllt von unserer Arbeit. Wir sehen wie glücklich die Kinder dort sind. Ich bin ein Mal im Jahr da, jedes Jahr zur äthiopischen Weihnachtsfeier, die ist immer eine Woche später. Da sehe ich, wie sehr die Kinder sich freuen. Wir organisieren immer ein kleines Fest für Kinder, die nichts haben. Ich sehe auch die Dankbarkeit der Dorfbewohner:innen, die sehr glücklich sind, dass diese Schule da ist. Sie nutzen beispielsweise auch den Drucker oder den Kopierer der Schule. Denn diese Dinge sind nicht ausschließlich für die Schule da, sondern für alle Dorfbewohner:innen. Wir sind sehr dankbar.