Kapitel 01
Kapitel 02
Kapitel 03
Kapitel 04
Kapitel 05
Kapitel 06
Kapitel 07
Transkript
Mein Name ist Claus Oellerking, ich bin 64 Jahre alt und als Senior-Experte unterwegs. Den „Senior Experten Service“ (SES) bezeichne ich immer etwas abfällig als eine Beschäftigungsmöglichkeit für abgehalfterte Fachkräfte. Was ich damit meine: Es geht in der Regel darum, Menschen mit einer Expertise zum Beispiel als Ingenieure, Ärzte, Pädagogen oder Gastronomen eine Chance zu geben ihre Expertise in der Welt oder auch hier in Deutschland weiterzugeben. Der „Senior Experten Service“ ist eine Stiftung mit Sitz in Bonn, die finanziell von verschiedenen Ministerien unterstützt wird. Sie lädt Expert:innen im fortgeschrittenen Alter ein ihre Expertise, ihr Können und ihr Fachwissen in der Welt weiterzugeben.
Ich war Leiter einer berufsbildenden Schule und habe im Laufe der Zeit verschiedene Organisationen kennengelernt. Der SES engagiert sich auch im Inland und kümmert sich beispielsweise um junge Auszubildende, die Schwierigkeiten mit der Ausbildung haben. Mein erster Kontakt zum SES war das Projekt „VERA – Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen“, bei dem junge Menschen durch uns angeleitet wurden, wenn deren Ausbildungserfolg gefährdet war. Dann habe ich gemerkt, dass der SES auch weltweit schaut wo Expertise gebraucht wird und Experten mit entsprechenden Fähigkeiten dorthin entsendet.
Meinen ersten Einsatz hatte ich 2015 an einer berufsbildenden Schule in der Stadt Waisai ganz im Osten von Indonesien. Sie wollten damals etwas ähnliches einführen wie das deutsche duale System, also die Kombination der Lehre im Betrieb und in der Schule. Sie hätten das gerne in sieben Wochen erledigt gehabt, was etwas überfordernd war. Aber wir haben örtliche Betriebe mit der Berufsschule in Kontakt gebracht und damit begonnen Strukturen anzulegen, die sie längerfristig nutzen können, und Kooperationen zwischen Betrieben und der Schule aufgebaut. Im nächsten Jahr war ich dann das erste Mal in Uganda, wo ich inzwischen schon das vierte Mal war. Der SES vermittelt solche Einsätze auch in andere Länder, beispielsweise in Lateinamerika oder Asien. Sie übernehmen die Kosten für den Flug, die Versicherungen und dergleichen und der Gastgeber, der dich einlädt, sorgt dafür, dass du einen Platz zum Schlafen und etwas zu essen hast, und übernimmt den lokalen Transport.
Ich fahre immer an denselben Ort und zwar nach Kasese. Das ist eine Stadt im Südwesten Ugandas. Sie liegt am Fuß der „Mountains of the moon“ wie das Rwenzori Gebirge auch genannt wird, das die Grenze zum Kongo bildet. Ich bin 2016 das erste Mal in Kasese gewesen. Ich wurde von einer kleinen Gruppe junger Männer eingeladen, die etwas für junge Menschen ohne Schulabschluss tun wollten. Von ihnen gibt es in Uganda eine ganze Menge, vor allem junge Frauen, die oftmals den Schulbesuch nicht fortsetzen, wenn ihre Periode einsetzt. Denn es gibt keine Hygieneprodukte, keine Binden oder Tampons. Das heißt, Periode ist sichtbar. Das führt dazu, dass die Mädchen oft in einem Alter von 12, 13 Jahren den Schulbesuch aussetzen und eben auch ganz abbrechen. Junge Männer brechen auch oft die Schule ab, aber aus anderen Gründen. Sie müssen arbeiten, wenn die Eltern das Schulgeld nicht mehr bezahlen können. Die staatlichen Schulen sind in Uganda grundsätzlich kostenlos, es müssen aber Bücher und Schuluniformen gekauft und der Mittagstisch bezahlt werden. Wer das nicht bezahlen kann schickt seine Kinder auf’s Feld oder anderswo zur Arbeit. Die NRO Rufi wollte etwas dagegen tun und hat jemanden eingeladen, der mit ihnen Ideen entwickelt, Vorhaben skizziert und schaut wie man diese Vorhaben umsetzt.
Rufi existiert seit 2017 und bildet junge Frauen an der Nähmaschine aus. Auch das war ein nicht ganz leichtes Unterfangen, weil die Frauen in der Regel die Ausbildung nicht bezahlen können. Aber wer bezahlt stattdessen? Wie finanziert man sowas? Herauszufummeln wie da etwas aus eigener Kraft entstehen kann ist ein Prozess, der ein bisschen länger dauert. Wir haben angefangen – jetzt sage ich schon wir – also, sie haben angefangen Schuluniformen zu nähen. Der erste Vertrag wurde erfüllt aber nicht bezahlt. So lernten sie, dass sie sich vorher eine Anzahlung geben lassen und der Rest bei Auslieferung bezahlt wird. Das war also ein Lernprozess, der auch noch weiterläuft. Vieles konnten wir über Spenden finanzieren. In Deutschland gab es mal ein Programm für arbeitslose Menschen namens Ich-AG. Wenn du eine Idee hattest, die du realisieren wolltest, konntest du zum Arbeitsamt gehen und sagen, „Hallo ich habe eine Idee und einen Businessplan“ und das Arbeitsamt hat dir dann über einen Zeitraum von einem Jahr jeden Monat einen Betrag bezahlt, der dazu beitrug, dass du dir keine Sorgen um deine Miete und den täglichen Bedarf machen musstest. Dieses Modell habe ich mir als Vorbild genommen und so viel Geld für Rufi gesammelt, dass die Haushaltsmittel für ein Jahr gedeckt waren. Das waren im Monat 300 Euro, also insgesamt übersichtliche 3600 Euro. Damit hatten sie ein Jahr lang den Rücken frei und konnten sich etwas ausdenken. Sie haben versucht Schmuck herzustellen, aus Kronkorken Ohrringe gemacht, indem sie die Kronkorken mit demselben Stoff eines Kleidungsstücks bezogen haben. Sie haben verschiedene andere Dinge hergestellt, die man verkaufen kann. Sie waren damit nicht so erfolgreich – bis sie auf die Idee kamen Körbe herzustellen. Viele von uns kennen diese Bilder von Frauen mit Körben auf dem Kopf, in denen sie Dinge transportieren. Diese Körbe sind meistens aus Naturmaterialien und superschwer. Der Inhalt und der Korb wiegen zusammen etliche Kilo. Schon seit längerem sind in Uganda Kunststoffkörbe sehr beliebt, die aus Kunststoffstreifen geflochten werden, die ein bisschen aussehen wie die Kunststoffstreifen mit denen bei uns Pakete fest zusammengebunden werden. Die Frauen stellen daraus Körbe in allen möglichen Farben und Größen her. Die sind stabil, superstabil. Diese Körbe konnten sie lokal verkaufen und einen Teil ihrer Kosten selber decken.
Was ich lerne: Zu sehen wie man aus wenig viel machen kann. Und dass man mit wenig Mitteln und viel Fantasie und viel Einsatzbereitschaft echt etwas bewegen kann. Ich glaube, das ist auch in Schwerin und anderswo möglich. Tun. Machen. Eine Idee haben und lediglich sagen: „Man müsste mal…“ aber dann nicht in Gang zu kommen - das bringt dich nicht weiter. Aber wenn du es tust, dann passiert auch was! Das sehe ich bei Rufi jeden Monat. Wir stehen ja in engem Kontakt und sprechen uns einmal pro Woche. Das ist eine große Lehre, die ich mitgenommen habe. Und auch: wieder aufzustehen, wenn man hinfällt. Auch bei einer Dürre oder bei Hochwasser - dort gibt es alle zwei Jahre Überschwemmungen wie im Ahrtal, auch mit vielen Toten und weggespülten Dörfern. Dann heißt es, aufstehen, weitermachen und gucken, was man besser machen kann oder wo die Grundstücke sicherer sind. Und dann muss man sehen, was man realisieren kann.
Wenn ich das nächste Mal nach Uganda, nach Kasese fahre, gibt es zwei wichtige Punkte, an die wir ran wollen. Zum einen wollen wir die Ausbildungswerkstatt fertigstellen. Es wird im Moment eine gebaut, übrigens aus alten Plastikflaschen, die als Mauersteine genutzt werden. Die soll auf jeden Fall demnächst in Betrieb genommen werden. Wobei ich händisch nicht mit anpacke, sondern plane. Das zweite unglaublich wichtige Thema wird weiterhin die Sustainability sein – also Nachhaltigkeit auch in dem Sinne wie sich Rufi selber ohne Spenden finanzieren kann. Das muss das Ziel sein und daran werden wir weiter arbeiten.